Die beiden Kletterunfälle vom 12. und 14. September sorgten bei den norddeutschen Medien für reges Interesse. Kaum vom Vor-Ort-Interview mit dem NDR1-Radio zurück, klingelte das Telefon erneut und der Weser-Kurier (Bremer Tageszeitung) bat um ein Interview. Dieses erschien vergangenen Montag als „Interview der Woche“.
„Jeder klettert auf eigene Gefahr“ Bereits fünf schwere Unfälle am Ith in diesem Jahr
Der Ith, ein 439 Meter hoher Mittelgebirgszug in Niedersachsen, ist ein Paradies für Kletterer. Die Kalksteinfelsen bieten Routen in verschiedenen Schwierigkeitsgraden. In diesem Jahr gab es bereits fünf schwere Unfälle – die beiden letzten vor rund einer Woche. Über die möglichen Gründe sprach Maike Albrecht mit Joachim Fischer, Vorsitzender der IG Klettern in Niedersachsen.
WK: Zwei Unfälle an einem Wochenende, fünf in diesem Jahr: Zufall oder Trend am Ith?
Joachim Fischer: Das ist eine überraschende Häufung für mich. Keine Ahnung, woran es liegt. Wir hatten die letzten drei Jahre gar keine schweren Unfälle. Bei den letzten beiden und einem weiteren handelte es sich sogar um erfahrene Kletterer.
WK: Der Klettersport erlebt seit einigen Jahren einen Boom. An vielen Orten gibt es mittlerweile Kletterhallen oder Kletterwände. Steigt damit das Risiko, unvorsichtig zu sein?
Das ist natürlich nicht auszuschließen. Am Fels ist das Klettern ganz anderes. An einer Kunstwand sind allein aus Haftungsgründen sehr viele Haken angebracht, damit wenig passieren kann. Die müssen zwingend benutzt werden. Dazu verpflichten sich die Sportler. Diese sehr gute Absicherung, wo eigentlich nichts passieren kann, ist mit den Absicherungen, die im Naturfels vorhanden sind, überhaupt nicht zu vergleichen. Dort stecken viel weniger Haken in der Wand, und es muss sehr viel mit eigenen Sicherungen gearbeitet werden. Das muss man können, damit die Sicherungen zuverlässig halten. Das können die Leute, die von der Kunstwand kommen, nicht. Es gibt auch viele Klettertechniken, die für die Fortbewegung am Fels notwendig sind, die können sie auch nicht, weil diese Strukturen an keiner Kunstwand zu finden sind.
WK: Kamen die Verunglückten aus Kletterhallen, oder waren sie erfahren am Fels?
Bei drei Unfällen waren die Leute auch am Fels erfahren. Bei einem weiteren scheint es so, als ob die Leute einen anderen Sport betreiben und nur schon einmal Ausflüge in die Kletterhalle gemacht haben. Bei denen war das Seil zu kurz, so dass es beim Ablassen aus der Sicherung gerutscht ist, und der Kletterer den Rest ungebremst gefallen ist.
WK: Wie sieht die Unfallstatistik am Ith aus – vor den zuletzt drei unfallfreien Jahren?
Da gab es vereinzelte Unfälle. Maximal drei pro Jahr. Dann häuften sie sich, plötzlich waren es fünf in einem Jahr. So wie jetzt. Damals haben wir von der IG Klettern angefangen, an drei Wochenende im Jahr Sicherungsseminare anzubieten. Die sind jedes Mal ausgebucht. Und in den drei folgenden Jahren hatten wir dann keine Unfälle mehr. Warum wir jetzt plötzlich trotz dieser Seminare wieder fünf Unfälle haben, weiß ich nicht.
WK: Was für Fehler haben zu den Unfällen geführt?
Beim ersten war eine junge Frau in ganz geringer Höhe, auf zwei oder drei Metern, und hatte dort einen Klemmkeil gelegt. Zum Ausruhen hatte sie sich dort reingesetzt, dadurch ist die Sicherung herausgekommen.
Zwei andere sind darauf zurückzuführen, dass das Seil zu kurz war. Da hat also auch der Sicherungspartner mit Schuld. Er muss darauf achten, dass das Seil lang genug ist, oder ein Knoten im Seil ist, damit es nicht durchrutscht. Bei einem der letzten Unfälle wollte der Kletterer das Seil in einen vorhandenen Haken setzen und ist dabei abgerutscht. Die letzte Sicherung war dann so tief, dass er bis nach unten gefallen ist – da konnte dann der Seilpartner auch nicht mehr helfen. Der zweite Unfall scheint auf ähnliche Sicherungsfehler zurückzuführen zu sein.
WK: Könnte man am Ith schärfere Vorschriften oder Kontrollen einführen?
Kontrollierbar ist das nicht. Wer weiß schon, wer wann wo klettern geht. Man kann nicht an jeden Felsen jemanden hinstellen, der Leute auf Fehler hinweist. Jeder tut das auf eigene Gefahr. Wir können nur unsere Sicherungsseminare anbieten. Bislang haben sie guten Erfolg gezeigt, nur dieses Jahr leider nicht.
WK: Sollten Anfänger oder Sportler, die nur in der Halle klettern, überhaupt ohne Anleitung in die Natur gehen?
Ich würde auf jeden Fall davon abraten. Der Deutsche Alpenverein bietet zum Beispiel Schnupperkurse an, die auch am Fels stattfinden. Da kriegt man einen guten Eindruck davon, was draußen alles an Techniken erforderlich ist. Das liegt weit über dem, was man für die Kletterhalle braucht. Wenn dieser Sport einem dann zusagt, bietet es sich an, beim Alpenverein richtige Kletterkurse zu machen.
WK: Ist Klettern an sich ein gefährlicher Sport?
Nein. Wer sein Handwerk beherrscht, was Kommunikation zwischen den Seilpartnern angeht, was Sicherungs- und Klettertechniken angeht, der ist weitgehend ungefährdet.
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