17 Mrz 2011 Selter Sperrung
Klettern am Selter
Klettersportliche Bedeutung Die im NSG Selterklippen liegenden Felsen stellen ein für Norddeutschland und auch weit darüber hinaus einzigartiges Klettergebiet dar. Aufgrund der strukturarmen, oft stark überhängenden Felsen befindet sich an den Erzhausener, Esbecker und Fredener Klippen die mit großem Abstand größte Zahl an schwierigen und schwierigsten Kletterrouten Niedersachsens, von denen mehrere nationale Bedeutung aufweisen. Die bis zu 30 m hohen Felsen sind daher für fortgeschrittene und extreme Sportkletterer das landesweit wichtigste Klettergebiet. Vergleichbare Felsen mit einem großen Angebot an solch schwierigen Kletterrouten finden sich erst in der Fränkischen Schweiz (Bayern), in rund 400 km Entfernung wieder. In Niedersachsen gibt es Kletterrouten vergleichbarer Schwierigkeiten anderswo nur vereinzelt an wenigen anderen Felsen. Die große Zahl schwieriger Routen hat den Selter zu einem Klettergebiet von nationaler Bedeutung und weit bekannt gemacht. Daher ist ein Fortbestand der Klettermöglichkeiten für das Selbstverständnis und die weitere Entwicklung des Klettersports in Norddeutschland von herausragender Bedeutung Der Selter wird fast nur von sportlich orientierten Kletterern aufgesucht, die sich auf die kompakten oder überhängenden Wandbereiche konzentrieren. Aufgrund der hohen Schwierigkeiten, der schattigen Lage (Osthang) und den relativ langen Zugängen sind die Besucherzahlen im Vergleich zu den anderen niedersächsischen Klettergebieten überschaubar. Regelmäßig beklettert werden dabei fast ausnahmslos nur die fast bewuchslosen Felswandbereiche. In den Vegetation aufweisenden Felsbereichen verlaufen überwiegend leichtere Kletterrouten, die nur selten beklettert werden. Bei allen gemeinsam mit den Naturschutzbehörden entwickelten Planungen zur Ausweisung von Naturschutz- und Kletterzonen war ein Kletterverzicht für die bewachsenen Felswandbereiche vorgesehen. Geschichte des Kletterns im Selter Im Selter wird seit mindestens den 1930er Jahren geklettert (z.B. ?Alter Weg? 1935, an der Keule unterhalb des Kammersteins). Bis in die 1960er Jahre hinein wurden die leichteren Routen erstbegangen sowie eine große Zahl technisch (mit künstlichen Fortbewegungsmitteln) zu bewältigender Kletterwege. Im Zuge des Ausbaus der Jugendarbeit des Deutschen Alpenvereins wurden die Felsgebiete gerade auch des Selters beliebtes Ziel für Bildungsmaßnahmen und Freizeiten zur hautnahen Naturerfahrung. Dabei wurde bewusst pfleglicher Umgang mit der Natur eingeübt. Mit dem Aufkommen des leistungsorientierten Sportklettergedankens gegen Ende der 1970er Jahre wurde begonnen, die bis dato mit Hakenhilfe bewältigten Routen in freier Kletterei (ohne Benutzung der Sicherungsmittel als Kletterhilfe) zu durchsteigen. In der Folge entstanden zahlreiche weitere, schwierige und schwierigste Kletterrouten. Die bisherige Entwicklung gipfelte in der Bewältigung von 2 Kletterrouten im 11. Schwierigkeitsgrad, die zu den schwierigsten Routen Deutschlands zählen und in Niedersachsen die beiden einzigen dieser Schwierigkeit sind. Klettern und Naturschutz In den 1990er Jahren gab es durch den neuen Biotopschutzparagraphen eine Veränderung der Rechtslage. Die Felsen waren nun generell als besondere Biotope geschützt. Die Sprecher des DAV und der IG Klettern ergriffen selbst die Initiative, mit dem Niedersächsischen Umweltministerium geklärt zu bekommen, wie das umgesetzt werden solle. Im Gespräch mit dem Justiziar des MU (Dr. Louis) und dem Leiter des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie, NLÖ (Dr. Drachenfels) wurde festgehalten, dass das ? die Sensibilisierung für Naturvorgänge fördernde und jugendpädagogisch besonders wertvolle ? Klettern weiter zulässig bleiben solle. Es müsse an den Felsen nur das Verschlechterungsverbot beachtet werden. Für die praktische Durchführung von Regelungen wurden von Vertretern der Fachbehörde und Kletterern zwei gemeinsame Exkursionen am Ith und im Harz durchgeführt und danach vom Umweltministerium ein Team von Landschaftsplanern mit dem Ausarbeiten einer Bestandsaufnahme und der Erstellung eines praktikablen Konzeptes beauftragt. Außerdem sollten die Kletterer neben der Aufstellung der vorhandenen Felsen (Felskataster) eine Aufstellung der für das Klettern wichtigen Felsen liefern (Positivliste). Nach nochmaliger Begehung sämtlicher niedersächsischer Felsgebiete legten die Kletterverbände diese 1992 vor. Das vom Umweltministerium in Auftrag gegebene Gutachten der Landschaftsplaner führte für den südlichen Ith zu einem Zonierungskonzept entsprechend den auch anderswo heute üblichen Zonen (Zone 1 = Tabu, Zone 2 = Status Quo, vorhandene Routen frei, Zone 3 auch Neutouren zulässig). Auch für den Selter wurde 1995 in einer zweitägigen Begehung mit Vertretern des NLÖ und der Landkreise abgeklärt, wie dort eine naturverträgliche Zonierung aussehen sollte. Dass die Behördenvertreter dazu die Eigentümer nicht eingeladen hatten, führte bei den letzteren zu Verstimmung und Verhärtung einer bis dahin nur latent kletterfeindlichen Haltung. In der Folge tauchten zeitweise auch am Zugang zu den Ultradächern Verbotsschilder auf, die jedoch von den Kletterern in Kenntnis des Rechts auf freien Zugang zur Natur ignoriert wurden. Die Kletterkonzeption Da die Behörden sich erklärtermaßen mit der landesweiten gutachterlichen Abklärung der Fragen um Klettern und Naturschutz finanziell überfordert sahen, wurde angesichts der anstehenden Umsetzung des Biotopschutzparagraphen und auch der FFH-Richtlinie (Natura 2000) im Auftrag des Deutschen Alpenvereins und der IG Klettern von auf beiden Feldern fachkundigen Landschaftsplanern und Geographen in Abwägung der jeweiligen Prioritäten von Naturschutz und Klettersport eine landesweite Kletterkonzeption erarbeitet. Dabei waren im Interesse der Erreichung von optimaler Akzeptanz sowohl die Naturverträglichkeit wie auch die angemessene Berücksichtigung der verschiedenen Spielformen des Kletterns in eine Balance zu bringen. Die Kletterkonzeption wurde im Frühjahr 2000 fertiggestellt und dem Niedersächsischen Umweltminister übergeben. Sie übernahm bereits bestehende und bereits mit Behörden abgeklärte Regelungen (so auch für den Selter), enthielt jedoch auch für sämtliche anderen Klettergebiete fachlich detailliert begründete Zonierungsvorschläge. Die Konzeption wurde vom Niedersächsischen Landtag begrüßt und am 21.11.2002 einstimmig (!) als Grundlage einer Kompromissfindung im Wertekonflikt zwischen dem Verfassungsziel Förderung von Naturschutz und dem Verfassungsziel Förderung von Sport angenommen. Damit wurden die Raumbedarfe des Kletterns als Natursportart mit seinen verschiedenen Spielformen ausdrücklich anerkannt. Außerdem erhielt die Kletterkonzeption im Herbst 2000 den ersten Preis im Feldschlösschen Naturschutz-Wettbewerb. Die Kletterkonzeption war in den folgenden Jahren Grundlage der detaillierten Abklärung zunächst bei der Novellierung und teilweisen Neuausweisung des NSG Wesergebirge/Süntel, zu dessen Umsetzung auch eine Vereinbarung zwischen Kletterern und zuständiger UNB geschlossen wurde. Ebenso wurden auch in einer umfangreichen Vorklärung mit detaillierten Ortsbegehungen die Kletterregelungen für das NSG Ith vorbereitet. Als zur Ortsbegehung mit einer ebensolchen Abklärung für den Selter eingeladen wurde, ließen die Eigentümer durch einen Rechtsanwalt gegen diesen Ortstermin Widerspruch einlegen. Daraufhin verzichtete der einladende Behördenvertreter auf den Termin, um die Situation nicht zusätzlich zu verhärten. Nachdem zunächst auf eine über das geltende flächenhafte Naturdenkmal hinausgehende Unterschutzstellung verzichtet werden sollte, begann dann doch das Verfahren einer Unterschutzstellung als Natura 2000 Gebiet in Form eines NSG. Die Verhandlungen über das NSG Selterklippen Die Kletterverbände brachten die Kletterkonzeption als ihren Vorschlag ein, der sogar nur eine bereits reduzierte Fassung der 1995 mit dem NLÖ als naturverträglich abgestimmten Regelung beinhaltete. Diese Lösung wurde von Seiten des jetzt zuständigen NLWKN als viel zu kletterfreundlich abgelehnt. Die Kletterverbände schlugen vor, über ein botanisches Fachgutachten noch detailliertere Kenntnis über Art und Verbreitung besonders sensibler Bereiche zu gewinnen und auf dieser Basis eine angemessene und nachvollziehbare Regelung zu finden. Dafür hatte das NLWKN kein Geld. Daraufhin beauftragten DAV und IG Klettern einen behördlich als sehr fachkompetent anerkannten Gutachter H. Thiel mit der Erstellung eines solchen Gutachtens. Aber trotz der vorher bekundeten Gesprächsbereitschaft wurde dann vom NLWKN ohne weitere Gespräche eine Lösung ins Verfahren gegeben, die von den 6 Kilometern Kammlänge nur eine Freigabe der Felsen von 1100 Metern des Kammes und damit Sperrung eines Großteils der attraktiven Kletterfelsen vorsah. Gleichzeitig wurde erklärt, diese reduzierte Dimension der Freigabe sei nicht mehr veränderbar, wohl aber der Zuschnitt. Die Vertreter der Kletterverbände erarbeiteten daraufhin eine Lösung, wie mit einem anderen Zuschnitt in 7 Blöcken bei gleicher Kammlänge von 1100 Metern ein wesentlich größerer Teil der klettersportlich interessanten Felsen naturverträglich zugänglich bleiben könnte. Sie bemühten sich auch darum, dass unter Nutzung des inzwischen vorliegenden Gutachtens nun gemeinsam eine fachlich begründete naturverträgliche Zonierungslösung entwickelt würde. Diese an sich fachlich optimale Lösung wurde abgelehnt, weil dazu angeblich keine Zeit mehr wäre (Ende 2008). Stattdessen wurde dann ohne weitere Abstimmung und ohne detaillierte fachliche Grundlage eine auf allgemeinen zoologischen Überlegungen beruhende Reduzierung auf zwei Blöcke angeboten. Dieses Angebot war verbunden mit der ultimativen Erklärung, dass die Kletterer nur diese Lösung oder nichts bekommen würden. Notgedrungen stimmten die Vertreter der Kletterverbände zu, trotz offensichtlicher Akzeptanzprobleme deren Umsetzung zu übernehmen. Nachdem die Eigentümer sich einer Beteiligung an einer Vereinbarung verweigert hatten, wurde nun der Text einer zur Umsetzung der Regelungen zu schließenden Vereinbarung zwischen der UNB und den Klettererverbänden verhandelt und dazu auch Einigkeit erzielt. Die Bitte der Vertreter der Kletterverbände, doch die Details der Kennzeichnung der noch frei bleibenden Kletterbereiche ebenso wie beim NSG Ith und NSG Wesergebirge/Süntel auch in den Verordnungstext aufzunehmen, wurde abgelehnt mit dem Hinweis, solche Kennzeichnungen zur Umsetzung von Regelungen sollten in der Vereinbarung geregelt werden und müssten ohnehin von den Eigentümern geduldet werden. Im Vertrauen auf die Gültigkeit dieser Rechtsauskunft, die uns noch mit der Übergabe eines Auszuges aus dem Naturschutzbestimmungen unterstrichen wurde, stimmten wir dann diesem Verfahren zu. Das NSG Selterklippen Mit der am 2. April 2009 in Kraft getretenen Verordnung zur Ausweisung des Naturschutzgebietes ?Selterklippen? wurde das Klettern auf 3 Teilbereiche beschränkt. Gemäß der zur NSG-VO gehörenden Karte sollte nur noch an 20 von ehemals 80 bekletterten Felsen geklettert werden (im NSG befinden sich insgesamt etwa 150 Felsen). Von den ehemals über 320 schwierigen Kletterrouten (6. bis 11. Schwierigkeitsgrad) sollten lediglich noch 120 (37 %) beklettert werden dürfen, sowie knapp 10 (8%) der früher 120 Kletterrouten gemäßigter Schwierigkeitsgrade (2. bis 5. Schwierigkeitsgrad). Die Klage gegen das NSG Selter Die in der Verordnung nur erwähnte, aber vorgesehene normierte Kennzeichnung der zum Klettern zulässigen Felsen wurde aber nicht vorgenommen, so dass de facto ein komplettes Kletterverbot galt. Hiergegen wurde per Normenkontrollantrag geklagt und in dem im November 2010 entschiedenen Gerichtsverfahren vor dem OVG Lüneburg wurde genau dieses Fehlen der Kennzeichnungsmodalitäten in der Freistellungsklausel als entscheidender Mangel genannt, so dass dieser entsprechende Paragraph für unwirksam erklärt wurde. Somit ist nun die paradoxe Situation entstanden, dass der Gesetzgeber zwar das Klettern an bestimmten Felsen zulassen wollte, aber durch einen unzureichenden Verordnungstext vor Ort derzeit dennoch ein totales Kletterverbot besteht. Unsere Forderung Die Kletterverbände fordern, dass im Sinne von Kontinuität des Verwaltungshandelns und von Vertrauensschutz die bisher seit dem einstimmigen Landtagsbeschluss zur Kletterkonzeption immer angemessen berücksichtigten Belange des als wertvoll anerkannten Klettersportes auch hier Platz finden. Der Selter ist für das extreme Sportklettern in Niedersachsen herausragend wichtig und nicht ersetzbar. Es ist nicht einzusehen, dass dort nicht wenigstens die in einem jahrelangen Prozess von den Behörden als naturverträglich definierte Lösung in Kraft gesetzt wird. Die von den Kletterverbänden nicht verschuldeten Mängel der Verordnung müssen nun in einer Novellierung geheilt werden. Richard Goedeke und das Projektteam Selter |